Nach dem Rennen stehen erregte Vertreter jeder Fraktion regungslos und mit
unruhigem Blick hinter der Ziellinie. Nicht nur der Zielbogen ist an diesem
Mittwoch im Berliner Tiergarten aufgeblasen. Noch einmal tief Luft holen, den
wichtigen Blick und ein Lächeln für den Bildschirm aufgesetzt, so
präsentieren sich Abgeordnete, die an diesem warmen Nachmittag eine 3.600
oder 7.200 Meter lange Strecke zu Fuß und ohne Hilfe ihrer ansonsten
allgegenwärtigen Referenten bewältigt haben.
Neben einigen Hinterbänklern, die nur selten ins Scheinwerferlicht der
Kameras gerufen werden, sind vor allem Abgeordnete der Partei hier vertreten,
die erster vor kurzer Zeit ihre drei Punkte im Namensschild verloren hat. Und
deren Referenten präsentieren auch bereits kurz nach Zielschluss die
großen - heute sportlichen - Erfolge ihrer Arbeitgeber im Internet.
Jedenfalls laufen an diesem Mittwoch Menschen durch den Tiergarten, die in
ihrer Mehrheit genauso gerne an einem Zigarren-Wettrauchen teilnimmt, wenn sie
nur hinterher von einem Journalisten nach ihrem Befinden gefragt werden und am
nächsten Tag ihr Foto in irgendeiner Zeitung finden.
Bereits zum vierten Mal veranstaltete die Sportgemeinschaft Deutscher
Bundestag in diesem Jahr ihren Bundestagslauf im Berliner Tiergarten. Insgesamt
400 Teilnehmer gehen auf den beiden Strecken an den Start. Ein
mittelgroßes sportliches Ereignis für Bundesbedienstete, Mitarbeiter
von Botschaften, Abgeordnete und alle die vielen anderen Berufsgruppen, die vor
fünf Jahren im Zuge des Hauptstadtumzuges ihren Wohnsitz in Berlin
genommen haben. Hier bleiben also nicht nur Politiker auf der Strecke. Auch
Beamte geraten an diesem Tag ins Schwitzen und Lobbyisten müssen ihre
Geschäfte im Laufschritt und ohne das obligatorische Sektglas in der Hand
verrichten.
In Bonn hieß die beschauliche Vorgänger-Veranstaltung noch
"Bannmeilenlauf". Das Medieninteresse war ungleich geringer und es
gab Politiker, so wird heute noch erzählt, die nur aus Freude am Sport
dabei waren. In Berlin ist jetzt natürlich alles größer und
perfekter, die Zeiten werden mit einem Chip gemessen, wie bei richtigen Rennen,
und die Mitglieder der verschiedenen Fraktionen, auch das ist neu, kleiden sich
in farbenfrohen Hemdchen, die in großen Buchstaben der
Öffentlichkeit die politische Heimat der Sportler zeigen. Neu in Berlin
und ein schönes Beispiel für die zunehmende Individualisierung der
Gesellschaft und den Abbau des Sozialen ist die Einführung der
Einzelwertung. Es war eine schöne Errungenschaft der sozialeren Bonner
Republik, nur die schnellsten Mannschaften zu ehren und eben nicht die
schnellsten Einzelsportler.
Deshalb und weil die Veranstaltung wie gesagt nur von geringem sportlichen
Wert ist, soll an dieser Stelle ausnahmsweise eine Nennung der schnellsten
Läuferinnen und Läufer verzichtet werden.
Frank Bielefeld
P.S. der Internet-Redaktion: Egal, ob jetzt in Berlin mit Einzel–
und/oder Mannschaftswertung – wie auch immer, wir sind froh, dass der
Bundestag – und der Anhang – überhaupt rennt, das ist schon
eine Anerkennung wert.