Der Berliner Leichtathletik-Verband (BLV) feiert in diesem Jahr sein
100-jähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläums ist geplant,
dass im Rahmen der Berlin Brandenburgischen Leichtathletik Meisterschaften, die
am 5. und 6. Juni im Friedrich-Ebert-Stadion in der Bosestraße in
Tempelhof (örtlicher Ausrichter: TSV Tempelhof-Mariendorf) stattfinden,
eine 48-seitige Festbroschüre herausgegeben wird.
Im Programmheft zum 24. Bewag BERLINER HALBMARATHON am 4. April 2004
veröffentlichte SCC-RUNNING schon als „Einstimmung“ auf das
100-jährige Jubiläum des BLV einen Artikel von Gerd Steins (
Sportmuseum Berlin) unter dem Titel „Als der Kaiser Grünes Licht gab
– aus der frühen Geschichte der Straßenläufe in
Berlin“, der auch im Internet unter
http://www.berlin-marathon.com/news/show/001926
erschienen ist.
Im folgenden Artikel schreibt – als weitere Ergänzung der
historischen Aufarbeitung - Fritz Steinmetz, ehem. langjähriger
Generalsekre-tär des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und
renommierter Statistiker über die ersten „80 Jahre des BLV“
– erschienen in „Leichtathletik“ von 1985. An der Geschichte
der ersten 80 Jahre des BLV – und der Entwicklung der Leichtathletik in
Berlin – hat sich nun zwischenzeitlich nichts verändert –
deswegen ist es für den heutigen Leser äußerst interessant, die
Sicht des Verfassers von vor 20 Jahren zu lesen. Wir werden in lockerer
Reihenfolge in die „Geschichtskiste der Berliner Leichtathletik“
greifen und über den Werdegang und die Entwicklung des Laufens und damit
der Leichtathletik Berlins – und damit auch Deutschlands –
berichten.
Horst Milde
80 Jahre Berliner Leichtathletik-Verband
(entnommen aus: „Leichtathletik“ 4/1985 vom 21.01.1985)
Wer weiß, daß schon am 29. Januar 1898 die Deutsche
Sportbehörde für Athletik gegründet wurde (1921 In DSB für
Leichtathletik und 1933 in Deutscher Leichtathletik-Verband umbenannt), der
wird sich wundern, daß der Landesverband Berlin rund sieben Jahre
jünger ist. Die DSB war aber bis 1910 zunächst ein Verband von
Vereinen und entstand als erste verbindliche Organisation. Erst die weitere
Entwicklung führte zu mehr Vereinen und mehr Veranstaltungen, so dass
Untergliederungen notwendig wurden. Die Deutsche Sport-Behörde unter
Führung des Architekten Georg Demmler hatte Ihren Sitz seit Gründung
in Berlin, und ab 1903 war ihr Schriftführer Carl Diem. Er war es auch,
der mit der örtlichen Entwicklung der Leichtathletik höchst
unzufrieden die Vereine zu einem Zusammenschluss zwecks Verbesserung der
Aktivitäten aufrief. Am Dienstag, dem 15. November 1904, fand dann die
Gründung des Verbandes Berliner Athletik-Vereine (VBAV) statt, der sich
Mitte der zwanziger Jahre in Verband Brandenburgischer Athletik-Vereine
umbenannte und 1931 auch die pommerschen Vereine aufnahm. Am Gründungstag
wurde zunächst Otto Gro-nert zum Vorsitzenden gewählt. Otto Gronert
hatte 1899 den SC Komet gegründet und am 29. Juli 1900 In Hohenneuendorf
den ersten wettkampfmäßigen Waldlauf in Deutschland
veranstaltet.
Schon zwei Monate nach der Gründung fand am 14. Januar 1905 der erste
VBAV-Verbandstag statt. Hier wurde dann Carl Diem zum Vorsitzenden
gewählt, der das Amt bis 1920 mit großem Einsatz ausfüllte,
obwohl er u.a. von 1908 bis 1913 auch DSB-Vorsitzender war. Carl Diem,
über dessen Wirken und Bedeutung hier wohl nichts gesagt zu werden
braucht, hat damals viele wichtige Impulse für die Entwicklung und
Anerkennung des Sports gegeben. Er organisierte das erste Hallensportfest In
Deutschland am 12. Januar 1908 in einer Ausstellungshalle am Berliner Zoo - und
musste schließlich, um die Veranstaltung durchziehen zu können -,
auch noch das finanzielle Risiko zusammen mit seinem Kassenwart Langermann
(BSC) übernehmen. 5000 Besucher enthoben aber beide aller Sorgen. Das
Erscheinen des Kronprinzen sicherte die gesellschaftliche Anerkennung. Am 14.
Juni 1908 wurde die nächste große Idee Diems zu einem vollen Erfolg:
Der mit 50 frei zu verteilenden Läufern durchgeführte
Straßenstaffellauf Potsdam-Berlin über 25 km. Der SC Charlottenburg
- jetzt Veranstalter des grossen BERLIN-MARATHON - gewann vor dem Berliner
Sport-Club, der danach von 1909 bis 1920 zwölfmal In Folge siegte. 1969
fand die Staffel zum letzten Mal statt. 1909 gehörten schon 35 Vereine dem
VBW an, und 1910 waren es bereits 88 Vereine. Im Jubiläumsheft zum
50-jährigen Bestehen des BLV schrieb Heinz Cavalier, daß 1924 120
Vereine Mitglieder des VBAV waren und 1931 nach dem Anschluss Pommerns an den
VBAV sogar 175 Vereine mit 35 811 Mitgliedern.
Wenn man bedenkt, dass jetzt der Berliner Leichtathletik-Verband nur das
verhältnismäßig kleine Territo-rium von Berlin-West umfasst,
sind 44 Vereine mit 10 118 Mitgliedern ein Zeichen dafür, dass die
sportliche Aktivität und die Mitgliederzahl In den
Leichtathletikabteilungen der Vereine viel größer geworden Ist. Zu
den ersten Schritten, die der neu gegründete VBAV 1905 zur Belebung der
Leichtathletik in Berlin unternahm, gehört die Einführung einer
Berliner Vereinsmeisterschaft In Form eines Vereinsneunkampfes. Jeder Verein
hatte für acht Einzeldisziplinen je einen Wettkämpfer zu stellen und
dazu eine 4mal-100-m-Staffel. Jeder Aktive durfte mit Ausnahme der Staffel
jedoch nur einmal eingesetzt werden. Die Klassierung erfolgte durch Addition
der Platzziffern des Vereins In jedem Wettbewerb, also nach der heute bei
Cupwettbewerben üblichen Wertung.
1908 stiftete Carl Diem dafür einen Preis, den der siegende SC Westen
05 (ab 1911 mit dem Charlottenburger SC 02 zum SCC vereinigt) als
ständigen Wanderpreis zur Verfügung stellte und der bis 1934
ausgekämpft wurde, nachdem der Wettbewerb zum Gedenken an den am 2. April
1909 verstorbenen Grafen Egbert von der Asseburg, Vorsitzender des Deutschen
Reichsausschusses für die Olympischen Spiele (die 1916 In Berlin
stattfinden sollten), nun „Asseburg-Memorial hieß. Über ihn
und seine Entwicklung bis 1934 und in der zweiten Phase von 1950 bis 1972 lohnt
sich eine eigene Darstellung. Von 1921 ab wurde der seit 1919 auf zehn
Wettbewerbe erweiterte Vereinskampf der Männer auch auf entsprechende
,Wettbewerbe der Frauen, der männlichen Jugend und der Alten Herren, wie
damals die heutigen Senioren genannt wurden, erweitert. Ab 1924 kam die
weibliche Jugend hinzu. In den zwanziger Jahren gab es neben den
Meisterschaften noch weitere Verbandsveranstaltungen wie den
Erstlings-Neunkampf nach Art des „Asseburg-Memorials" für
Anfänger, die noch keinen Einzelwettbewerb gewonnen hatten: Es gab den
Frühjahrswerbelauf, einen Sternlauf von möglichst großen
Gruppen jedes Vereins, dann In Verbindung mit den Meisterschaften eine
50mal-300-m-Staffel zum Gedenken an Hanns Braun, den 1918 gefallenen
großen Mittelstreckler, der allerdings kein Berliner, sondern
Münchner war. Über mehrere Jahre hinweg wurde eine
Straßenstaffel mit 50 Läufern über 50 km „Rund um
Berlin" gelau-fen, bei der z.B. 1923 elf Mannschaften ins Ziel kamen. Die
50 Läufer waren aufzuteilen In 20mal 400 m, zehnmal 500 m, zehnmal 800 m,
sechsmal 1500 m und viermal 5000 m. Auf diese „Meilensteine der alten
Zeit" mußte in diesem Zusammenhang hingewiesen werden. Einige Namen
maßgeblich und langjährig tätiger Amtsträger des Verbandes
regen neben vielen anderen heraus: Neben Carl Diem sein langjähriger
Sportwart und von 1924 bis 1933 Vorsitzender Johannes Krause, Willi Kohlmey und
Paul Aust als Sport-warte, danach Hans Dallmann. Hans Dallmann war das
sportliche Rückgrat des Bezirks Berlin im Gau Brandenburg ab 1934. 1948
stellte er sich sofort wieder zur Verfügung, wurde zum BLV-Sportwart
gewählt und blieb bis 1980 In diesem Amt. Dann löste ihn Hans Rieke
ab, der sich als Fachmann für Bahnvermessung einen Namen im DLV gemacht
hat und nach wie vor als Berater auf diesem Gebiet tätig ist. Er amtierte
als Sportwart volle zehn Jahre, dann löste Ihn 1971 Wolfgang Wappler
ab.
Der Anfang nach dem Zusammenbruch 1945 war schwer. Erst im März 1946
begann sich wieder sportliches Leben zu regen. Vereine waren jedoch verboten.
Der Sport stand unter kommunaler Aufsicht der Bezirksämter. Die ehemaligen
Vereinsgruppen fanden sich in kommunalen Sportgruppen zusammen. Für ganz
Berlin wurde eine Spartenleitung gebildet. Die Kampfrichter-Vereinigung fand
sich auch allmählich wieder zusammen. Kopf allen Sports war das
Hauptsportamt In der Mauerstraße, heute Berlin-Ost. Schon für den
24./25. August 1946 wurden die ersten Berliner Meisterschaften ausgeschrieben,
zu denen nicht nur Teilnehmer aus allen vier Sektoren Berlins kamen, sondern
auch 79 aus 22 Orten der damaligen Ostzone, insgesamt 237 Aktive. Das Stadion
Rehberge hatte dabei auch recht guten Zuschauerbesuch. Am 2. November 1948
fanden die ersten Wahlen für die Spartenleitung statt, quasi für den
Verbandsvorstand. Der bis dahin als Spartenleiter eingesetzt gewesene Otto
Schippke wurde durch Walter Eicke ersetzt Mit ihm bildeten sieben Männer
und eine Frau das für ganz Berlin zuständige
Führungsgremium.
So ging es mit teilweise wechselnder Besetzung bis zur politischen Teilung
Berlins 1949 weiter. Dann wurden in Berlin-West die Vereine wieder zugelassen.
Am 22. Oktober 1949 wurde der Berliner Leichtathletik-Verband unter
Führung von Fredy Müller, dem früheren deutschen 800-m-Meister,
gegründet. Nicht ganz zehn Amtsjahre waren Fredy Müller nur
vergönnt: Er starb im Frühjahr 1959. Ihm folgte Gerhard Schlegel als
Vorsitzender bis Ende 1970, der dann lange Zeit Vorsitzender des
Landessportbundes Berlin war.
Von 1971 bis 1974 war Peter Hanisch BLV-Vorsitzender, der seit einigen
Jahren an der Spitze der Deutschen Sportjugend steht. Seit 1975 ist Joachim
Günther Berliner Verbandspräsident. Seit 1950 haben In Berlin 34mal
deutsche Meisterschaften und sieben Länderkämpfe stattgefunden.
Darunter waren sieben-mal die großen Meisterschaften der Männer und
Frauen (zuletzt 1973). 1988 werden sie wieder In Berlin sein. Fünfmal
fanden die deutschen Hallenmeisterschaften in der Berliner Deutschlandhalle
statt. Auch die deutschen Meisterschaften für Junioren und für
Schüler sowie DJMM-Endkämpfe hat Berlin ausgerichtet, aber noch nie
die deutschen Jugendmeisterschaften, die nun 1985 nach Berlin vergeben
sind.
Die letzte DLV-Veranstaltung In Berlin waren die deutschen
Crossmeisterschatten 1981, die wie schon 1975 Im Grunewald im Gelände des
Teufelsberges ausgetragen wurden, auf der Strecke des vom SCC seit 1964
alljährlich in mehreren Klassen und dabei auch als Volkslauf
durchgeführten Teufelsberg-Crosslaufs. Bis 1973 hieß der Titel
„Waldlaufmeisterschaften“. Sie wurden auch in Berlin, und zwar
1913, gegründet und zum erstenmal von Fritz Blankenburg gewonnen.
Hier konnte und sollte mit dem Hinweis auf das 80-jährige Berliner
Verbandsjubiläum keine Geschichte geschrieben werden. Die würde eine
Broschüre füllen, die die von Heinz Cavalier 1955 zum 50.
Gründungstag geschriebene an Umfang weit übertreffen müsste,
Fritz Steinmetz